Liebe Ani,
von Herzen weiß ich dich zu schätzen für deine offene Art und dein Streben nach Ausgeglichenheit und Zufriedenheit. Du bist der Welt zugewandt, das ist großartig!
Als Reisende lernst du die Welt kennen, per Zug und Flugzeug, hast hier und da neue Plätze für dich gefunden.
Du hast dir fremde Orte zur Heimat gemacht.
Deine Erfahrung wirkt sich auf dein Umfeld aus:
Plötzlich sind die klassisch-konservativen Großeltern mit einem Quasi-Schwiegersohn nicht-abendländischer Herkunft konfrontiert (Oh my god!). Ihrer Enkeltochter zu Liebe fühlen sie sich in der Pflicht, über den eigentlich präzise polierten Tellerrand zu schauen. Sind die Fremden vielleicht doch nicht so fremd?
Plötzlich gibt’s live news per Facebook aus dem politisch aufgeladenen Istanbul, direkt vom Taksim Square aus der Menschenmenge, die Familie und Freunde zuhause in Good Old Germany eben noch durch die Glotze flimmern sahen. Neue Erkenntnisse für uns hier, denn dein persönliches Von-vor-Ort-Berichten liefert wertvolle Informationen, die die Kurznews nicht bieten oder vielleicht sogar falsch darstellen.
Plötzlich sehe ich selbst klarer, wie ich mir die erste Zeit mit Baby wünsche. Denn du hast mich nochmal ganz neu zum Nachdenken angeregt, durch deine Erzählungen von persönlich Erlebtem in zwei anderen Kulturkreisen.
Du stiftest Identität und bereicherst dein Umfeld durch deine weltoffene Art.
Das ist unglaublich wertvoll. Ich danke dir sehr dafür!
Gleichzeitig weiß ich um deinen inneren Konflikt, wenn es um das Transportmittel deiner Wahl geht: das Flugzeug. Es ermöglicht dir deine oft kurzen, manchmal längeren Auszeiten anderswo.
Du äußertest deine Gedanken, als dir der Artikel Warum dein Flug billiger ist als der Zug zum Flughafen begegnete. Du bist dir bewusst:
„Für mich ist das ganze Thema ein sehr persönliches Dilemma, weil für mich das (weite) Reisen ganz fester Bestandteil vom Leben ist.“
Du zehrst ungemein von diesen immer wiederkehrenden Auszeiten aus dem Alltag, das weiß ich. Gleichzeitig nagt ein schlechtes Gewissen. Dir ist klar: Fliegen ist schlecht fürs Karma. Fliegen schadet dem Klima.
Jeder weiß, wie Karsten Smid (Greenpeace-Klimaexperte) hier beschreibt,
„dass das Flugzeug eines der klimaschädlichsten Verkehrsmittel überhaupt ist. Schon jetzt trägt allein der Flugverkehr auf der ganzen Welt zu rund neun Prozent der klimaschädlichen Gase bei. Und die schädliche Wirkung wird als dreimal so hoch eingeschätzt, weil der Ausstoß in so hohen Schichten der Atmosphäre stattfindet.“
Kann da was weg von? Weniger fliegen – die unsexiest idea ever…
Gerne würde ich von dir wissen: Welches sind dir die wertvollsten Ortswechsel, Reisen und Kurztrips, die du bisher erlebt hast? Sind alle Flugreisen so wertvoll, dass du dich später überhaupt und – wenn ja – von Herzen gerne daran zurückerinnern wirst?
„Wir behalten nur die Dinge, die uns glücklich machen.“
Ausmist-Guru Marie Kondo leitet dazu an, allen Besitz zu scannen. Was mich nicht glücklich macht, darf gehen. Ziel ist, frei zu sein von allem, was belastet. Was passiert, wenn du das auf deine Reisen anwendest?
Vielleicht würde dir statt des zweiwöchigen Yoga-Retreats in Indien auch ein Yoga-Retreat in Italien taugen, den du mit dem Nachtzug erreichen kannst?
Vielleicht lässt sich die Hochzeit des guten Freundes mit einem Retreat verbinden, den du dir eigentlich erst ein paar Wochen später gegönnt hättest?
Oder macht dich gar das Fliegen selbst glücklich?
Wenn schon, denn schon: Flugmeilen kompensieren
Das Mindeste, was man als Flugreisende/r tun sollte, ist die Beteiligung am modernen Ablasshandel. Auch Greenpeace verweist auf einen solchen Anbieter, nämlich atmosfair. Die von dir an atmosfair überwiesenen Groschen werden eingesetzt für verschiedene Klimaschutzprojekte. Die Kompensationszahlung ist nebenbei auch noch steuerlich absetzbar.
Klingt nicht schlecht? Dann nix wie los,
kompensiere deine bisher gemachten Flüge!
Bevorteilung des Flugverkehrs auflösen
Das Problem ist aber ein anderes: Dass so viel geflogen wird, liegt unter anderem an den Spottpreisen, zu denen wir Flugtickets kaufen können. Die Spottpreise wiederum kommen durch die nicht vorhandene Kerosin-Steuer zustande. Smid von Greenpeace erklärt hierzu im Interview Reise ins gute Gewissen:
„Im Gegensatz zu Benzin und Diesel ist Flugbenzin von der Steuer befreit – das ist eine ungerechte Subvention des Flugverkehrs.“
Außerdem müsse „der Luftverkehr in das europäische Emissionshandelssystem integriert werden. Alle Fluglinien müssten dann zahlen und besonders klimaschädliche müssten – wie die Industrie – Emissions-Zertifikate dazukaufen.“
Der Umweltschutzverband NABU (Naturschutzbund Deutschland e.V.) formulierte hierzu folgende Forderungen im Artikel Abgabe auf Flugbenzin dringend erforderlich:
„Nach Auffassung des NABU ist zum Schutz des Klimas die Einführung einer Kerosinsteuer, die Berechnung der Ökosteuer sowie die Aufhebung der Umsatzsteuerbefreiung im grenzüberschreitenden Flugverkehr erforderlich.“
Ja, und damit sind wir gaaaanz weit weg gekommen von deinem persönlichen Dilemma – Stimmt’s, liebe Ani? Nicht mal eine Petition kann ich dir nennen, bei der du unterschreiben könntest für ein besseres Gewissen.
Bleibt also alles beim Alten? Wirst du deine Flugreisen kompensieren?
Vielleicht nimmst du mich ja mal mit zu einem Yoga-Retreat? Gerne auch im guten, alten Schwarzwald – Vielleicht kann „vor der Tür“ auch „weit genug weg“ sein.
Hugs!
Deine Kerstin
PS: Nachhaltigkeit kann man berechnen, wusstest du das? Entdecke hier ganz verschiedene, kostenlose Ökobilanz-Rechner.