Irgendwie fühlen wir uns alle wie in einem Reallabor, was das Thema Nachhaltigkeit und „klimafreundliches Leben“ angeht, oder? Wir wollen klimafreundlich leben – und probieren aus, sammeln Informationen, testen weiter, ergänzen neue Aspekte, ziehen ein Fazit, entwickeln weiter.
Jana Baukmann hat im Rahmen eines Reallabors intensiv und mit wissenschaftlicher Begleitung versucht klimafreundlicher zu leben. Ich freue mich, sie heute hier als Gast begrüßen zu dürfen und bin super gespannt auf ihre Erfahrung!
Online findest du Jana unter www.sieposteteinrezept.de und auf Instagram, wo sie von ihren Erfahrungen im Reallabor berichtet, Tipps für ein nachhaltigeres Leben und Rezepte teilt.
[Kleine Randnotiz: Willst du wissen, wie es um deine persönliche Ökobilanz steht?]
Reallabor „Klimafreundliche Entscheidungen“ – Was ist das überhaupt?
Die Stadt Münster hat 2019 ein Modellprojekt durchgeführt, bei dem 12 Haushalte (Familien mit Kindern, Alleinerziehende, Paare usw.) mitmachen durften.
Wir mussten uns vorher bewerben. Aufmerksam geworden sind wir darauf über einen Stand beim Sommernachtskino, der von der KLENKO der Stadt Münster für klimafreundlicheres Leben geworben hat und bei dem man Kinokarten gewinnen konnten. Wir wurden zum Glück für das Projekt ausgewählt und dann ein ganzes Jahr lang begleitet, klimafreundlicher zu leben.
Aus eigenem Antrieb Dinge im Alltag verändern, um klimafreundlicher zu leben
Das Tolle am Reallabor war, dass es zu keinem Zeitpunkt darum ging, irgendwelche Ziele der Stadt oder andere Vorgaben zu erfüllen, sondern dass man aus eigenem Antrieb Dinge im Alltag verändert, um klimafreundlicher zu leben.
Dabei wurden wir von verschiedensten Unternehmen in Münster unterstützt, die tollem klimafreundliche Angebote machen: Vom unverpackt Laden über ein Repaircafe, die Umwelt- und Energieberatung, Reinigungsmittel herstellen und das Stadtteil-Auto war alles dabei. Anfangs wurde unsere Klimabilanz anhand eines sehr ausführlichen Fragebogens erstellt. Diese wurde dann am Ende des Projekts erneut erhoben und die CO2-Einsparung ermittelt.
Nach einigen Kennenlerntreffen haben wir unsere Ziele in den drei Bereichen „Mobilität“, „Konsum und Ernährung“ und „Wohnen und Energie“ festgelegt, um diese dann in den folgenden Monaten ganz in unserem Tempo zu erreichen.
Eins meiner Ziele war zum Beispiel weniger Fleisch zu essen (Spoiler, mittlerweile lebe ich vegan und ich hab vorher viel Fleisch und Fisch gegessen). Außerdem hatte ich mir vorgenommen, häufiger unverpackt Einzukaufen, Müll zu reduzieren, weniger zu shoppen und -wenn dann- häufiger bei fair fashion Label oder Secondhand einzukaufen.
Damit wir am Ball bleiben, hat die Stadt Münster neben den tollen Angeboten der Unternehmen einen Trainingszirkel erarbeitet, in dem wir alle Ziele und Maßnahmen für die Zeit schriftlich festgehalten haben.
Es gab regelmäßige Treffen mit der Gruppe, bei der unsere Erfahrungen ausgetauscht wurden und man dadurch immer wieder animiert wurde weiter zu machen. Ich fand besonders interessant, dass auch keinerlei Konkurrenzdenken aufkam, sondern eher das Gefühl eines großen Ganzen.
Meine persönliche Klimabilanz habe ich um 40% gesenkt
Das spannende an einem Reallabor ist, dass man die Veränderungen im realen Leben ausprobiert, also in seinen Alltag immer mehr klimafreundliche Entscheidungen zu integrieren, um so nach und nach seinen ökologischen Fußabdruck zu senken und seinen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Ich konnte meine Klimabilanz um mehr als 40% senken und habe die Veränderungen nicht als unfassbar große Einschränkungen für mich empfunden.
Mittlerweile gibts das Reallabor auch in „kleinerer Form“, nämlich als Klimatraining. Diese Woche ist das erste offizielle Klimatraining der Stadt zu Ende gegangen. Der Rahmen ist ähnlich geblieben, allerdings wurde der Zeitraum auf 4 Monate verkürzt und die Anleitung erfolgte durch geschulte Klimatrainer:innen (zum Beispiel mich). Diese Trainings werden jetzt regelmäßig durchgeführt, um so nach und nach durch den Schneeballeffekt immer mehr Leute zu erreichen. Und ich war ganz begeistert, was meine Gruppe in nur 4 Monaten erreichen konnte.
Auswirkungen aufs Klima: Welche 3 Klimafreundlich-Leben-Learnings waren für dich die wichtigsten?
Wie konntest du deine persönliche CO2-Bilanz am besten reduzieren?
Mein Aha-Moment war: Klimaschutz ist gar nicht besonders schwer und macht sogar Spaß. Ich glaube, das war das wichtigste Learning, dadurch hab ich immer weitergemacht und habe ja auch jetzt noch lange nicht aufgehört, mich zu optimieren.
Dann gabs eher noch einige kleinere Erkenntnisse, die aber langfristig eine große Wirkung haben: zum Beispiel die Erkenntnis, dass ich gar kein Fleisch brauche – ich hab 29 Jahre lang Fleisch und Fisch gegessen, vegetarische Tage waren eine Seltenheit, vegane Tage fast ausgeschlossen. Jetzt leb ich knapp 1,5 Jahre vegan, vermisse nichts und fühle mich gesünder und fitter denn je, ich war früher oft vollgefressen nach einer warmen Mahlzeit und dann sehr träge, das bin ich fast gar nicht mehr – und meine Portionen sind groß geblieben 😉
Klimafreundlicher ohne eigenes Auto
Eine weitere Erkenntnis war, dass ich das Auto eigentlich nur aus Bequemlichkeit brauche und oft unnötig nutze. Jetzt bin ich Mitglied bei Stadtteilauto, hab kein eigenes Auto mehr (nur den Luxus, dass mein Partner einen Bulli hat, mit dem wir Campingurlaub machen können) und fahre nur dann mit dem Auto, wenn die Bahn mal streikt oder wegen Unwetter nicht fährt.
Das gleiche gilt für Flugreisen, die hab ich seit 2019 nicht mehr gemacht und sehe ich auch in der nächsten Zeit nicht für mich.
Ein weiteres Learning war: Man kann viele Leute animieren und motivieren, indem man als Beispiel voran geht – einige wollen aber lieber die Augen verschließen und diese erreicht man nicht mit dem erhobenen Zeigefinger. Deswegen versuch ich auch auf meinem Instagram-Kanal immer wieder zu Motivieren, Tipps zu geben und die Leute zu inspirieren, wie man durch einfache Veränderungen klimafreundlicher Leben kann. Und ich hab tolle vegane Rezepte, die nicht aufwendig sind und auch mit „normalen“ Zutaten gekocht werden können 😉
Welches sind deine liebsten Bücher und Blogs zum klimafreundlichen Leben?
Wo holst du dir Wissen und Tipps her? Welche Bücher oder Blogs haben dir bisher WIRKLICH weitergeholfen?
Ich informiere mich viel über das Internet und Instagram, ich folge da einigen tollen Accounts wie utopia, besserlebenohneplastik, louisadellert, smarticular.net, mysustainableme, Quarks und co. und noch vielen mehr. Und dadurch, dass ich solchen Accounts folge, spült mein Algorithmus auch immer noch mehr solche Beiträge rein.
An Büchern kann ich We are the Weather* von Jonathan Safran sehr empfehlen.
Generell ist für mich aber die Veränderung durch ganz viele unterschiedliche kleine Dinge gekommen: Artikel im Internet, der Austausch mit anderen Personen, das Lesen von einigen Blogeinträgen, das Hören von Podcasts. Wenn man einmal bewusst die Klimabrille aufgesetzt hat, setzt man die auch so schnell nicht wieder ab und lernt automatisch immer wieder Neues dazu.
Hast du das Ziel klimaneutral zu leben?
Ich glaube eher nicht. Ich möchte mich auch nicht zu sehr auf meine CO2-Bilanz konzentrieren. Klimafreundlich leben geht für mich nur mit Spaß und realistischen Zielen.
Wenn ich mir angucke, was ich in den letzten Jahren ohne viel Druck erreicht habe, ist das schon ne ganze Menge:
- von der Fleischesserin zur Veganerin
- regelmäßige Einkäufe im unverpackt Laden
- kein eigenes Auto mehr, sondern Carsharing
- keine Flugreisen seit 2019 (vorher 1-2 pro Jahr)
- Wechsel zu Ökostrom
- deutliche reduziertes Konsumverhalten, in Ausnahmen dann fair fashion oder auch Second hand
- festes Shampoo, festes Duschbad, selbstgemachtes Deo
- seit über einem Jahr nur noch maximal jeden 2. Tag duschen, davor bin ich noch fast täglich duschen gegangen
Und das ist nur ein Auszug, was ich in den letzten 3 Jahren umgesetzt habe. Für mich ist eher das Ziel, mir immer wieder neue Ziele und Herausforderungen zu setzen.
Zum Beispiel haben mein Freund und ich diese Fastenzeit auf jegliche Lebensmittel in Plastik verzichtet – und dadurch zum Beispiel eine tolle Hafer-„Sahne“ in der Pfandflasche entdeckt. Der Verzicht war also eher ein Gewinn.
Welchen wichtigsten Tipp würdest du Anfänger*innen geben, die endlich klimafreundlich leben wollen?
Man sollte sich kleine Ziele setzen, oder zumindest Zwischenziele, sonst bleibt der Erfolg zu lange aus und man gibt schneller auf. Statt zum Beispiel direkt vegan leben zu wollen, kann man sich 2 vegane Tage in der Woche vornehmen. Und man kann zwar Ziele parallel anvisieren, aber auch da nicht zu viele auf einmal, das überfordert nur.
Was mir auch immer hilft, ist mit anderen drüber zu sprechen, wenn ich mir etwas vornehme, und die Menschen in meinem Umfeld zu bitten, mich zu unterstützen, indem sie mich erinnern, fragen wie es läuft usw.
Veränderungen hin in ein klimafreundliches Leben brauchen Zeit
Im Endeffekt ist das klimafreundlichere Leben ähnlich wie die Vorbereitung auf einen Marathon, man hat ein großes Ziel vor Augen und setzt sich dazu aber kleine Zwischenziele und steigert diese nach und nach bis man die nächste Distanz erreicht hat.
Veränderungen brauchen Zeit und Routine, deswegen sollte man nicht zu früh aufgeben oder ein schlechtes Gewissen haben, wenn man in alte Verhaltensmuster zurückfällt.
Wichtig ist auch, dass man sich selbst nicht austrickst, in dem man sich bestimmte Dinge schön redet – das hab ich zum Beispiel lange mit dem Auto gemacht. Natürlich ist es bequemer und vielleicht auch schneller das Auto zu nutzen, als einen Weg mit den Öffis oder dem Rad zu machen, aber viel, viel, viel unbequemer ist der bevorstehende Klimawandel.
Aktuell spüren wir davon vielleicht noch nicht so viel, aber ich befürchte, das wird sich irgendwann ändern. Und wenn ich etwas dagegen tun kann, in dem ich das Auto stehen lasse, meine Entscheidungen im Alltag immer wieder hinterfrage und mich immer häufiger für die „unbequeme“ oder aufwändigere Alternative entscheide, dann mach ich das gerne. Ich lebe nämlich viel zu gerne auf dieser Erde, als dass ich bereit wäre, diese aufzugeben.
Und zum Abschluss:
Ja, auch die kleinen Dinge haben einen Effekt. Jeder ist für den Klimaschutz verantwortlich, nicht nur große Konzerne oder die Politik. Wir schaffen das nur gemeinsam – und das ist auch ziemlich cool, Teil einer so großen und tollen Bewegung sein zu können.
Klimaschutz macht echt Spaß (und erleichtert das Gewissen) 🙂
Liebe Jana, DANKE für die Einblicke in dein Leben im Reallabor Nachhaltigkeit!
Alles Gute euch allen und auf dass ihr glücklich und erfolgreich klimafreundlich leben könnt. Wenn ihr nachhaltig leben wollt, aber noch nicht so recht ins Umsetzen gekommen seid, lest hier weiter.
Herzliche Grüße,
Kerstin
–
Foto: Stadt Münster/ Michael C.Moeller
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